Nein

Ich weiß nicht warum ich gerade, hier, diese Zeilen schreibe. Nicht in mein Tagebuch, dass mir sehr hilft sondern hier.
Ich bin essgestört, seit ich 13 bin, jetzt 21 Jahre alt.
Vielleicht schreibe ich diese Zeilen damit ich es Morgen nicht vor mir selbst leugnen kann.
Weil ich im Schatten der Anonymität mit wirklich offenen Karten spielen kann.
Auf der einen Seite fühle ich mich auf meinem Weg doch schon so weit. Und auf der anderen bin ich gerade wieder so tief die die verfluchte Essstörung gerutscht wie seit Jahren nicht.
Mein damaliger Exfreund hatte mich, ich denke man kann sagen, auf eine Weise gerettet.
Als vor etwa eineinhalb Jahren herauskam, dass der mich belogen und bestohlen hat starb glaube ich der Teil in mir, der, durch ihn darauf vertraut hatte „genug“ zu sein, einen abrupten Tod. Ich fiel ins Bodenlose. Es fällt mir schwer zu vertrauen. Anderen, mir selbst. Oft halte ich die Welt und meinen eigenen Geist für heuchlerisch und bösartig.
Ich denke auf diesem Nährboden ist leise, still und heimlich die Esstörung zurückgekommen. Hat sich eingenistet. Sie ist wie eine Freundin die mich schon lange begleitet, mich nicht im Stich lässt. So scheint es zu anfangs immer. Eine auf die ich mich wenn sich alle Sicherheit in Luft auflöst da ist um mir die Hand zu reichen. Man sagt doch, halte deine deine Freunde nah, aber deine Feinde noch näher. Das trifft zu. Sie ist mir so nah. Und gleichzeitig mein größter Feind der in jeder Schwäche seine Chance wittert sich meiner zu ermächtigen und zurückzukehren. Sie gaukelt mir vor ich hätte Kontrolle, doch so weiter sie wächst, je mehr sie an Stärke und Macht gewinnt desto klarer wird. Sie ist es, die die Kontrolle über mich hat.
Ich habe mich entschieden.
Ich werde kämpfen um diesen Geist, diesen Körper, diese Seele. Denn sie sind die einzigen die ich habe in diesem Leben auf dieser Welt. Und ich bin es so leid ausgenutzt und missbraucht zu werden.
Ich werde kämpfen. Ich kämpfe schon. Auch wenn es gerade schlecht um mich steht.
Seltsamerweise ist der Verzicht (mein schleichender Rückfall), und das Erbrechen (mein plötzliche Rückfall), der mir immer wie ein Erdbeben vorkommt, leichter unter den Teppich zu kehren. Dabei schenken sie sich nichts. Dennoch nach dem Verzicht fühle ich mich auf makabere Weise stark und nach dem Erbrechen völlig mutlos.
Eben war, seit einigen standhafteren Wochen, zweitgrößte der Fall und ich fühle mich so schwach. So „aufgegeben“. „Aufgegeben“ von mir selbst. Ich will Hilfe, auch wenn die essgestörte Seite in mir alles dagegen tut.
Allerdings ist es so schwer Hilfe zu finden. Die Momente in denen ich bereit bin sie zu suchen halten über die Zeit in der Telefonwarteschlange oder die Liste der anzutelefonierenden Nummern nicht an. Aber ich spüre ganz deutlich, dass ich immerhin recht reflektiert bin was meine Situation betrifft. Ich beobachte mich scharf und ertappe mich, wenn ich mich selbst belüge. Ich leugne es nicht mehr. Das ist ja schon ein Schritt. Aber es gibt eben auch die Schritte in die andere Richtung und diese sind so entmutigend.
Danke also, dass ich Nachts um 1, wo keiner mehr einen Anruf annimmt, diesen Eintrag fand. Ein Eintrag, darüber, dass ein Rückfall nicht das Ende ist.
Er gibt mir Mut. Hoffnung. Glaube daran, dass nicht alles umsonst war, nicht alles wieder auf 0 zurückgesetzt ist.
Meine Gedanken drehen sich fast nur noch um Essen, drehen sich immer schneller, immer weiter bergab und je weiter sie sich drehen, desto größere Opfer fordert die Krankheit von mir. Desto härter geht sie mit mir ins Gericht, doch wohin soll das führen? Ich weiß es jetzt. Die Krankheit wird nicht von mir ablassen bis sie mich überwältigt hat.
Am Ende steht der Tot.
Aber ich habe eine Entscheidung getroffen.
Ich will Leben!
Ich freue mich über Antwort.
Ist da jemand?